László Kerekes
AUCH DAS FLEISCH WAR GESTEMPELT
(© Osteuropa im internationalen Netzwerk - MAIL ART / Staatliches Museum Schwerin / 1996 / KATALOG
Aus einem Abstand von 25 Jahren über die Mail Art der beispielhaften neoavantgardistischen Künstlergruppe "Bosch+Bosch" schreibend, die in einer der Peripherien der damaligen geopolitischen Sphären existierte, könnte man sicherlich unterschiedliche Aspekte und noch offene Fragen in den Vordergrund stellen.
Weil vom aktiven "Mail Art-Network" als einer schon abgeschlossenen Erscheinung die Rede ist, können wir uns entweder an die Ursachen und historischen Umstände der damals notwendig beweglichen, alternativen Kunstformen in den ideologisch geteilten Blöcken des Kontinents erinnern, oder an eine bewußte individualistische Entdeckung der Künstler: per Post aller Welt trotz des abgesteckten Kontexts zu begegnen.
Die Gruppe"Bosch+Bosch" wurde Anfang der 70er Jahre in Subotica in der exjugoslawischen Vojvodina gegründet. Diese multinationale Stadt lag damals im Schatten des sogenannten Eisernen Vorhangs, genau an der Grenze zwischen Jugoslawien und Ungarn. Vielleicht war es kein Zufall, daß diese Gruppe junger Künstler, die von Beginn an eine Vermittlerrolle suchte, an diesem von beiden Mächten gut beobachteten Punkt zusammenfand. Jugoslawien selbst war vor dem tragischen Zerfall ein "Zwischenraum" zwischen West und Ost. Die Künstler Slavko Matkovic, Bálint Szombathy, László Szalma und László Kerekes gründeten eine der ersten Künstlergruppen in Osteuropa, die schon eindeutig beeinflußt von der "lifestyle-revolution" und der zeitgenössischen Idee der grenzüberschreitenden "Total Communication" war.
Obwohl ihre künstlerischen Mittel sehr einfach waren, hatten sie von Anfang an keine Komplexe, an der sich immer weiter verbreitenden Briefkunstkette teilzunehmen. Anfangs gab es noch kein dogmatisch normiertes "Network", sondern nur einen vor allem freien Austausch künstlerisch ausgestatteter, kleiner und größerer, manchmal extrem ungewöhnlicher Postkarten. Oft waren die Sendungen fluxus-objektähnliche Materialkollagen mit einer eigenen subkulturellen Ästhetik. Die wiederholten Erlebnisse des "Feedback" von überallher initiierten später (1972-74) kompliziertere Projekte, und resultierten in zahlreichen Mail Art-Aktionen in Europa, Amerika usw. Vielleicht ist der Zugang zur Ausstattung solcher Arbeiten gerade die Ebene, auf der sich spontan neue, reduzierte Sprach- und Ausdruckformen der 70er Jahre entwickeln konnten. Es ist vielleicht auch nicht unwichtig, daß in dieser Zeit die ersten Copy-Maschinen erst in Gebrauch kamen, und die Sprache von der Comicikonographie beeinflusst war.
Die meistens mit bunten Briefmarken dekorierten und amtlich gestempelten Mail Art-Arbeiten wurden fälschlicherweise oft als "künstlerischer Kommunikationsmüll" fetischistisch gesammelt, obwohl in ihren Botschaften in erster Linie ihre ephemeren Ideen und nicht ihre Objektualität betont waren. Gegenüber der Message mußte die wichtige Komponente einer relativen kommunikativen Zeitverschiebung per Post immer einkalkuliert sein.
Die Künstler von "Bosch+Bosch" haben häufig selbstkreierte Stempel benutzt. Abdrücke der Stempel endeten oft nicht nur auf Postkarten, sondern auch auf den Körpern der Künstler. Die Fotodokumente dieser Aktionen dienten dann wiederum als Motive der Mail Art.
Eine genauere Analyse der Mail Art der 70er Jahre müsste ihren konzeptuellen Charakter berücksichtigen. In der Zeit, in der die Mail Art eine spezifische Bedeutung hatte, wurde in leicht zugänglicher, unkomplizierter Praxis versucht, eine "planetare Sprache" zu schaffen. Spuren der Freiheitsträume: nur die Posttauben konnten immer die Mauern überwinden. Die Mauern sind gefallen, aber jetzt sind die Planeten des Universums so bezeichnet wie nie zuvor.